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Beauty is not pasted over suffering but grows out of it—like the proverbial shoot from parched ground. Bruce Herman

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Beat Rink - Mann im Turm von Stefan Balkenhol

Stephan Balkenhol: Mann im Turm

durch Beat Rink

Anlässlich der dOCUMENTA (13) 2012 in Kassel, dem Mekka der modernen Kunstszene, beauftragte die katholische Kirche den Künstler Stephan Balkenhol mit der künstlerischen Ausgestaltung von St.Elisabeth. Die Kirche befindet sich dem Ausstellungsgelände gegenüber. Balkenhol schuf grosse Skulpturen für den Kirchen-Innenraum: vor allem Menschen in Alltagskleidern.

In den Turm stellte er eine goldene Kugel und darauf einen Mann mit ausgebreiteten Armen. Damit löste er ein riesiges Echo aus. Nicht nur dass Leute bei der Feuerwehr anriefen und meldeten, jemand wolle vom Kirchturm springen – worauf die Feuerwehr tatsächlich ausrückte. Viel schlimmer: Die Documenta-Leitung forderte die sofortige Entfernung der Figur.

Ihr Hauptargument: Die Figur störe das Ausstellungs-Konzept. Die dOCUMENTA (13) wolle bewusst den ‘Anthropozentrismus’ ins Visier nehmen. Die Kuratorin Carolyn Christa-Bakargiev sagte: “Es wird der Versuch unternommen, das menschliche Denken nicht hierarchisch über die Fähigkeiten anderer Spezies und Dinge zu stellen.” Das heisst: Der Mensch hat im Kosmos keine Sonderstellung, sondern steht auf derselben Stufe wie ein Hund oder eine Erdbeere. Deshalb forderten die Documenta-Macher denn auch demokratische Strukturen für Erdeeren und Hunde. Was humorvoll klingt, war sehr ernst gemeint. Und sehr ernst war deshalb auch der Protest gegen den ‘Anthropozentrismus’ der kirchlichen Installation. Dir Kirche gab aber nicht nach.

Wie können wir das Werk von Balkenhol interpretieren? Hier ein Vorschlag:

Der Mann steht tatsächlich auf einer anderen Stufe als eine Erdbeere oder ein Hund. Er ist erhöht und damit ein Protest gegen die Documenta. Er erinnert an Psalm 8: “Du hast ihn (den Menschen) wenig niedriger gemacht denn Gott, und mit Ehre und Schmuck hast du ihn gekrönt.”

Der Mann steht auf einer Kugel. Sie gleicht der Weltkugel, auf der die Glücksgöttin Fortuna oft dargestellt wird. Das Glück ist labil, und so droht auch der Mann jederzeit herunterzufallen. Der Mann wirkt aber viel unsicherer als die Fortuna etwa beim “Komm, spiel mit dem Glück!” Der Mann scheint zu sagen: “Wie bin ich nur hierhergekommen? Ich muss aufpassen, dass ich nicht herunterfalle.” Vielleicht erinnert dies uns an 1.Korinther 1,12: “Darum, wer sich läßt dünken, er stehe, mag wohl zusehen, daß er nicht falle.”

Die Kugel und die Stellung der Arme nehmen auf, was auf der Kirchturmspitze zu sehen ist: Die (Welt)Kugel und darüber das Kreuz. Der Mann ahmt die Form des Kreuzes nach. Im 1.Ko. 11, 1steht: “Ahmen wir Christus nach!” Der Mann tut dies etwas zaghaft, ist aber dennoch mutig.

Der Mann ist (anders als Fortuna) nicht allein. Der Kirchturm (die Gemeinschaft der Christen) schützt ihn. Und er ist unter dem Schutz des Kreuzes, das über der Weltkugel thront. Ist das Anthropozentrismus? Nein, eher Theozentrismus – und somit erst recht das Gegenteil der dOCUMENTA (13) – Ausrichtung. Aber in einem treffen sich beide Anliegen: In der Infragestellung der menschlichen Herrschaft. Balkenhol war sich der Dimension „Gottes“ sehr wohl bewusst. So weigerte er sich zum Beispiel, die Bänke aus der Kirche zu entfernen, um mehr Platz für seine Ausstellung zu haben!

Ein Letztes: Die Kugel dreht sich im Wind nach allen Richtungen. Damit wird Geste des Mannes irgendwie zu einer Segensgeste („Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen“, Matthäus 5,44)

Der Mann ist also ein Nachahmer – ein Nachfolger Christi. Die Welt unter seinen Füssen schwankt und dreht sich. Er mag sich unsicher fühlen und Angst haben. Aber er weiss: “Über mir ist das Kreuz, dem sogar die Erde untertan ist. So stehe auch ich fest. Und ich kann meine Hände sogar zum Segen ausbreiten.”

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Stefan Balkenhol: Mann im Turm, 2012, Gemaltes Aluminium und Epoxy, Höhe 200 cm.

Stefan Balkenhol: Archetypische Verhaltensmuster menschlicher Existenz und Empfindung beschwören die bildhauerischen Skulpturen des 1957 im hessischen Fritzlar geborenen Künstlers Stephan Balkenhol. Balkenhol studiert von 1976 bis 1982 an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste in der Bildhauerklasse des streng minimalistisch arbeitenden Künstlers Ulrich Rückriem. Nach zwei Stipendien erhält Balkenhol 1988 - 1989 einen Lehrauftrag an der Hamburger Kunsthochschule. Im Anschluss lehrt er bis 1991 an der Frankfurter Städelschule. Seit 1992 ist die Staatliche Kunstakademie in Karlsruhe sein Wirkungsort. Die Suche der deutschen Künstler seit den 80er Jahren nach neuen Formulierungsmöglichkeiten und Sinngebungen alltäglichen Materials manifestiert sich deutlich auch im Werk von Balkenhol.

Beat Rink ist der Direktor von Crescendo Ministries International, Basel (CH). www.crescendo.org